Longevity in der Gastronomie

Foto: Gunhild Hinkelmann (rechts) und Prof. Veronika Bellone © Bellone Franchise Consulting GmbH
Foto: Gunhild Hinkelmann (rechts) und Prof. Veronika Bellone © Bellone Franchise Consulting GmbH

«Longevity» wird die Gastronomie massgeblich beeinflussen und damit auch das Franchising. Ob und wie sich dieser Trend im Gastgewerbe etabliert, wo es Fallstricke und Risiken gibt und wie man in kleinen Schritten beginnen kann, wurden wir – Gunhild Hinkelmann, Kommunikations- und Longevity-Expertin und Veronika Bellone als Franchise Consultant mit Gastronomie-Expertise und Marketingdozentin vom deutschen Fachmagazin «Küche» (www.magazin-küche.de/Nr.7/Juli2025) in einem Interview befragt. Ein Auszug daraus gibt es im aktuellen Magazin  und mehr dazu hier.

Gehen Sie davon aus, dass sich Longevity im Gastgewerbe und der Gesellschaft fest etabliert? Worauf stützen Sie diese Einschätzung?

Gunhild Hinkelmann:

Longevity oder «gesunde Langlebigkeit» ist ein absolutes Trendthema. Es geht darum, wie man seine gesunde Lebensspanne verlängert, d.h. wie man auch im Alter gesund und fit bleibt. Longevity-affine Menschen treffen bewusste Entscheide in Bezug auf Ernährung. Diese sind individuell ausgeprägt, aber Konsens ist: frische und qualitativ gute Produkte, überwiegend pflanzenbasiert, kombiniert mit hochwertigen Eiweissquellen wie Fleisch und Geflügel (natürlich nicht aus Massentierhaltung), Fisch, Eier, Milchprodukte, Tofu und Hülsenfrüchte.

Der Trend zu Longevity wird sich etablieren, weil die Forschung auf dem Gebiet der Zellen und Gene ungeheuer vorangeschritten ist. Tech-Milliardäre investieren in Labore, die den Prozess des Alterns entschlüsseln und Verfahren zur Verjüngung von Zellen entwickeln. Hinzu kommen Studien zu Pflanzenstoffen, die positive Prozesse im Körper anstossen bzw. negative Prozesse verhindern können.

 

Veronika Bellone:

Die Nestlé-Studie "So is(s)t Deutschland 2024 – Die Sehnsucht nach Unbeschwertheit: Essen zwischen Verzicht und Genuss" zeigt, dass 72 Prozent der Befragten ein Interesse an einem gesünderen Essverhalten haben. Zudem ist für 78 Prozent der Befragten klar, dass eine ausgewogene Ernährung der Schlüssel für ein gesundes Altern ist. Allerdings erschweren die hohen Preise für gesunde Lebensmittel die Umsetzung dieser Ziele. Die Implementierung einer Neuaufstellung hin zu einem gesünderen Ernährungsverhalten wird durch eingeschliffene Gewohnheiten sowie eine gewisse Überforderung in Bezug auf aktuelle Ernährungsstile und -trends erschwert. Das Gastgewerbe wird sich von daher sehr unterschiedlich mit Longevity auseinandersetzen und im Rahmen der Möglichkeiten handeln. Zudem ist festzustellen, dass es in der Gesellschaft eine fatalistische Haltung gibt, die die bisherigen Essgewohnheiten unterstützt.

Was müssen Unternehmer des Gastgewerbes beachten, die Longevity-Angebote bereitstellen möchten? Wo drohen Fallstricke oder Risiken?

Gunhild Hinkelmann:

Ein Longevity-gerechter Teller besteht zur Hälfte aus Gemüse plus ein Viertel Kohlenhydratbeilage und ein Viertel mit einer guten Eiweissquelle. Vegetarische oder vegane Gerichte wiederum sollten nicht einfach aus Kohlenhydraten wie Pasta oder Kartoffeln bestehen, sondern ebenfalls Protein wie Tofu, Hülsenfrüchte oder Pilze enthalten. Und statt eines verzuckerten Desserts lieber eine Schale frischer Beeren. Die sind zuckerarm und enthalten wichtige sekundäre Pflanzenstoffe, die sich positiv auf die Langlebigkeit auswirken.

Die Herausforderung ist, dass Longevity nicht einfach als eine bestimmte Ernährungsform zu definieren ist, sondern dass es sehr unterschiedliche Ausprägungen gibt, von Keto (nur Eiweiss und stärkearmes Gemüse) bis zu flexitarisch (überwiegend pflanzenbasiert plus qualitativ hochwertiges tierisches Eiweiss). Der Trend geht insgesamt zur individualisierten Ernährung statt «one fits all». Deshalb wäre es sinnvoll, wenn man sich sein Essen aus einzelnen Komponenten zusammenstellen könnte – statt fester Kombinationen. KI wird dabei sicher eine Unterstützung bieten.

 

Veronika Bellone:

Fallstricke drohen im Bereich der Rentabilität. Individualität in den Menüzusammenstellungen erfordert ein hohes Mass an Standardisierung der Prozesse und eine entsprechende Kostentransparenz der Zutaten, um das Angebot wirtschaftlich zu betreiben. Risiken bestehen ebenso in der Vermarktung. Wenn vermeintliche Produktvorteile und Inhaltsstoffe als Marketing-Worthülsen entlarvt werden, ohne entsprechende Substanz. Die Beurteilung und Abstrafung finden relativ schnell Widerhall in den sozialen Medien.    

Sind Longevity-Angebote stets mit hohen Investitionen in Infrastruktur und Ausbildung verbunden? Oder geht es auch sozusagen eine Nummer kleiner?

Gunhild Hinkelmann:

Es geht im Gastro-Bereich sicher auch eine Nummer kleiner, indem man zum Beispiel mehr Wert legt auf die Deklaration von Inhaltstoffen, nicht nur im Sinn von Allergenen, sondern konkrete Angaben macht in Bezug auf Kalorien, Kohlenhydrate, Fett und Eiweiss. Viele Longevity-Anhänger:innen tracken ihr Essen oder auch den Blutzucker. Ein Zusatznutzen wäre, wenn man über den Gehalt von sekundären Pflanzenstoffen und ihren Longevity-Effekt informiert würde, z.B. entzündungshemmende Antioxidantien in Beeren oder Sulforaphan in Broccoli.

 

Veronika Bellone:

Mittels Nudging kann man auch in seinem angestammten Betrieb mit kleinen Veränderungen anfangen. Also Anreize schaffen, die das Verhalten ändern ohne Ver- und Gebote. So bietet z.B. Otto’s Burger aus Hamburg seine pflanzenbasierten Burger günstiger als das Pendant aus Fleisch an. Das kann gerade diejenigen ansprechen, die bei Verhaltensänderungen Unterstützung benötigen.

Gibt es in Bezug auf den Bereich der Ernährung Gastro-Betriebe, die Ihnen besonders positiv aufgefallen sind?

Gunhild Hinkelmann:

Das «Hilton Double Tree Ku’damm» in Berlin wegen des gesunden Bio-Frühstücksbuffets und wegen des Bio-Abendessens, bei dem Sättigungsbeilagen separat gewählt werden können. Es wird Wert auf Nachhaltigkeit und No-Waste gelegt.

 

Veronika Bellone:

Das Tibits, ein vegetarisches Restaurant mit 25-jähriger Tradition, das aber immer wieder neue und interessante Gerichte für das Buffet kreiert, von dem man aus rund 40 verschiedenen Salaten etc. wählen kann (15 Standorte in der CH, 1 in D). In Berlin-Schöneberg gibt es den Schüsseldienst, einen Fine-Dining-Imbiss mit saisonalen Gerichten, hervorragenden Bowls, die bezahlbar und zudem auch ein Augenschmaus sind. 

Das TReat-Restaurant im schweizerischen Cham. Ursprünglich nur für Athleten im angrenzenden OYM Profisport-Center gedacht, hat sich nun für auswärtige Mittagsgäste geöffnet und bietet hochwertige, nährstoffreiche Gerichte auf ernährungswissenschaftlicher Basis an. Dazu gehört auch der Verzicht auf Alkohol und Desserts.  

Gunhild Hinkelmann:

Wie würden Sie diesen Satz beenden: „Longevity ist wichtig, weil es bedeutet, achtsam mit den eigenen Ressourcen und denen der Erde umzugehen – nur so macht Langlebigkeit Sinn.“

Veronika Bellone:

Wie würden Sie diesen Satz beenden: „Longevity ist wichtig, weil physische und psychische Selbstfürsorge essenziell ist. 

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Und hier der Auszug aus Fachmagazin «Küche» (www.magazin-küche.de/Nr.7/Juli2025) als pdf
Longevity clever umsetzen in der Gastronomie
KUECHE_07_25_Interview_Longevity clever
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